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„Warum scheitern Selbstständige, Herr Dietermann?“

microphone und Zeitung

Er ist Gründercoach und Inhaber der Steuerberaterkanzlei Dietermann: Thorsten Dietermann erklärt im Interview, wie die Familie über den Erfolg mitentscheidet, woran er echte Unternehmer erkennt und warum ungeplanter Erfolg gefährlich sein kann.

invoiz: Stellen Sie sich und Ihre Arbeit bitte einmal vor!

Dietermann: Mein Name ist Thorsten Dietermann. Ich bin seit 13 Jahren Steuerberater in Dillenburg und seit 10 Jahren bei den Existenzgründertagen von IHK und Handwerkskammer aktiv. Mir macht es Freude, einen Gründer von null an zu begleiten, seine Entwicklung zu sehen und mit ihm vielleicht einmal zu einer Umstrukturierung der Rechtsform zu kommen. Ich kooperiere für Selbstständige auch mit anderen Unternehmensberatern, um z.B. den Bereich Marketing abzudecken (meine Spezialgebiete sind Unternehmensplanung und Steuern).

invoiz: Kommen die meisten Ihrer selbstständigen Klienten aus einem bestimmten Bereich?

Dietermann: Nein, eher breit gestreut. Viele sind Dienstleister wie Handwerker, Freiberufler oder Heilberufler. Dann gibt es auch gerade hier in Hessen Produktionsunternehmen, z.B. im Automobilsektor. Ich betreue gerne Unternehmen in der Größe 1-50 Mitarbeiter, die ungefähr 0,5 – 3 Millionen Umsatz machen. Natürlich kommen Gründer nicht direkt mit dem Anspruch ins Haus, nächstes Jahr eine Million zu erlösen. Stattdessen fangen wir gemeinsam bei null an.

Gründercoach und Steuerberater Thorsten Dietermann

invoiz: Was sind heute die Hauptgründe, sich selbstständig zu machen?

Dietermann: Die meisten möchten die eigene Vision verwirklichen, die sie vielleicht schon länger mit sich herumtragen. Viele Mandanten kommen und sagen: „Ich bin eigentlich mit meinem Job zufrieden, aber ich komme nicht weiter. Ich habe öfters versucht, bei mir im Unternehmen Entwicklungen anzustoßen – aber ohne Erfolg. Deshalb will ich‘s jetzt allein versuchen.“ Erst danach kommen Themen wie Eigenverantwortlichkeit und erst am Ende das Thema Geld.

invoiz: Gibt es auch fachfremde Gründungen?

Dietermann: Gibt es auch, sind aber eher selten. Know-How und Erfahrung braucht man doch gerade bei der Gründung.

invoiz: Können Sie schon früh erkennen, ob ein Gründer erfolgreich sein wird?

Dietermann: Die Antwort ist klar ’nein‘. Ich habe immer einzelne Fälle im Kopf, bei denen ich mich frage, warum es ausgerechnet bei diesem Selbstständigen nicht geklappt hat. Trotzdem gibt es eine Tendenz. Jemand wird wahrscheinlich Erfolg haben, wenn er…

  1. sich sehr gut vorbereitet und große Teile dieser Vorbereitung selbst übernimmt. Delegieren Sie nicht die Verantwortung und Arbeit an den Steuerberater, den Anwalt, den Unternehmensberater für den Business Plan oder den Banker für die Finanzierung! Ein erfolgreicher Gründer nimmt die einzelnen Themen sehr ernst und kümmert sich selbst. Über einen Standard-Business-Plan freut sich nur der Banker.
  2. Unternehmereigenschaften aufweist. Nur selten ist ein guter Angestellter auch ein guter Unternehmer. Ein guter Unternehmer trifft Entscheidungen schnell und richtig und übernimmt auch Verantwortung für die Ergebnisse.

invoiz: Wie erkennen Sie, ob ein Gründer diese Unternehmereigenschaften besitzt?

Dietermann: Schon während der Gründerberatung merkt man schnell, ob ein Gründer z.B. beim Banktermin seine Entscheidung gut begründen kann und sich durch Schwierigkeiten nicht sofort aus der Bahn werfen lässt. Durchhaltevermögen gehört somit dazu.

invoiz: Haben Sie Leuten schon abgeraten, zu gründen?

Dietermann: Ja. Gleichzeitig verbinde ich das in den meisten Fällen mit einer Ablehnung des Mandats. Das führt in der Regel zu Unverständnis. Ich habe aber auch schon Fälle gehabt, in denen Leute mir nach Jahren gesagt haben: „Das war damals die richtige Entscheidung“.

invoiz: Gibt es weitere Erfolgsfaktoren?

Dietermann: Erfahrung ist ein weiterer wesentlicher Punkt. Aber auch: Wie funktioniert das Business? Wo finde ich Kunden und Lieferanten? Wenn die Antworten klar sind, haben wir eine gute Erfolgsprognose.

invoiz: Sollte ich mich somit als Uni-Absolvent nicht selbstständig machen?

Dietermann: Auch das kann funktionieren und habe ich erlebt. Mit den genannten Gründereigenschaften und einer guten Idee spielt die Erfahrung nicht mehr die zentrale Rolle.

Ein letzter Punkt ist der finanzielle Spielraum. Wenn sich nach dem ersten Jahr herausstellt, dass der schöne Business Plan nicht ganz aufgegangen ist, brauche ich etwas Puffer. Das ist der Grund warum wir heute nur noch Business Pläne über ein Jahr schreiben. Das zweite und dritte Jahr sind maximal für die Bank.

invoiz: Ist somit eine unzureichende Liquiditätsplanung ein Hauptgrund, warum Selbstständige scheitern?

Dietermann: Ja, genau. Ein weiterer Stolperstein ist übrigens mangelnde Unterstützung aus der Familie. Es passiert tatsächlich häufig, dass jemand alles mitbringt, aber gleichzeitig seiner Rolle im Beruf und der Familie nicht gerecht werden kann – obwohl genau das zuhause von ihm verlangt wird. Da kommen dann Fragen wie „Warum bist du als Einziger nicht um 17:00 Uhr zuhause?“.

Zuletzt kann es natürlich ganz schlicht auch sein, dass das Produkt und die Dienstleistung nicht so angenommen werden wie geplant.

Dein Finanz- und Rechnungstool

invoiz: Ist das nicht vermeidbar?

Dietermann: Ja, mein Rat an Gründer ist, dass sie ihre Wochenstundenzahlen im Angestelltenverhältnis reduzieren und 1-2 Jahre die Selbstständigkeit antesten. Das macht natürlich nicht jeder Arbeitgeber mit. Eine Möglichkeit ist dann, die Firma anfangs über ein anderes Familienmitglied anzumelden.

invoiz: Was sind die wichtigsten Ratschläge, die Sie Gründern mit auf den Weg geben?

Dietermann: Bereitet euch intensiv vor und lasst euch beraten. Die Gründer, die vorab alle Möglichkeiten ausnutzen, sind auch diejenigen, die hinterher am weitesten kommen. Sprecht mit der IHK, mit eurer Bank und seid offen, z.B. euren Business Plan zu überarbeiten.

Nächster Punkt: Konzentriert euch auf eure Kernkompetenzen. Lernt zu priorisieren und zu delegieren. Versucht nicht, eure Webseite selbst zu gestalten oder als Solo-Selbstständiger die Buchführung zu übernehmen. Das können andere in der Regel besser.

Und zu guter Letzt: Plant ein überraschend starkes Wachstum mit ein. Manchmal läuft es besser als geplant und dann muss der Umsatz finanziert werden. Wenn der Kunde vier Wochen später zahlt, muss ich das auch im Liquiditätsplan berücksichtigt haben.

invoiz: Kennen Sie Selbstständige, die sich mit zu schnellem Wachstum verhoben haben?

Dietermann: Ja, und dann müssen wir uns doch wieder mit der Bank zusammensetzen. Bloß: Jetzt sitzt der Banker am längeren Hebel. Ich habe es natürlich lieber umgekehrt: „Lieber Banker, das sind unsere Pläne und du machst bitte mit. Sonst finden wir eine Alternative“.

invoiz: Wie bereite ich mich optimal auf das Thema Steuern vor?

Dietermann: Erstens ist es wichtig, den Fragebogen zur steuerlichen Erfassung so früh wie möglich beim Finanzamt einzureichen. Zweitens sollte ich als Selbstständiger mit Umsatz bis zu € 500.000 von Anfang an die IST-Versteuerung wählen.  Drittens agieren wir mit unseren Planzahlen beim Fiskus etwas vorsichtiger als bei der Bank. Was dort noch gut aussieht, kann beim Finanzamt direkt zu hohen Vorauszahlungen führen.

invoiz: Das heißt, ich zahle unter Umständen Steuern, bevor ich den ersten Cent Umsatz gemacht habe?

Dietermann: Ganz genau. Das wird passieren, wenn Sie im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung euphorisch Zahlen eingeben. Deswegen den Fragebogen immer zusammen mit dem Steuerberater ausfüllen. Das Ziel muss sein, rechtzeitig Rücklagen zu bilden statt Vorauszahlungen zu leisten.

invoiz: Wie wichtig ist die Rechtsform?

Dietermann: Das ist ein viel diskutiertes Thema. Einzelunternehmen, Personengesellschaft oder vielleicht eine kleine UG? Letzten Endes hat die Rechtsform selten etwas mit Erfolg oder Scheitern zu tun. Unsere Gesetzgebung in Deutschland ist rechtsformneutral, d.h. jeder Selbstständige zahlt in jeder Rechtsform am Ende ca. 40-45% Steuern.

invoiz: Macht die Rechtsform nicht beim Thema Haftung einen großen Unterschied?

Dietermann: Ja, das ist richtig, wir haben in einigen Fällen die Rechtsform der Kapitalgesellschaft aus Haftungsgründen gewählt. Wo möglich lösen wir das Haftungsproblem aber lieber über Haftpflichtversicherungen.

invoiz: Was bedeutet dagegen eine Liquidation des Unternehmens finanziell für Selbstständige?

Dietermann: Wir müssen hier genau zwischen Liquidation und Insolvenz des Unternehmens unterscheiden. Die Liquidation ist eine geplante Abwicklung, aus der die meisten Selbstständigen mit einem blauen Auge herauskommen. Da fällt vielleicht einmal das Gesellschafterdarlehen aus. Anders sieht es bei einer Insolvenz aus, bei der die rechtzeitige Liquidation verpasst wurde. Die kann sehr viel übler enden.

invoiz: Herr Dietermann, wir bedanken uns für das Gespräch!

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